Auch der Deutsche Ethikrat fordert mehr Tierwohl

Das höchste Gremium für fundiertes gesellschaftliches Gewissen in unserem Land sieht es so wie wir: Massentierhaltung ist ethisch nicht vertretbar und die Verantwortung dafür lastet nicht allein auf den Schultern der Einzelnen und ihrer Kaufentscheidung im Supermarkt.

Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt. Auf unseren Protest hören wir reflexartig die immer selben Parolen – ob von der industriellen Landwirtschaft oder dem eigenen Landrat. Angeblich geht es uns gar nicht um Tierwohl, sondern nur um die Idylle in unserem Dorf. Außerdem sei das Tierwohl in den beantragten Massenställen mit 15.000 Puten oder 72.000 Hühnern gar nicht gefährdet, ebenso wenig Umwelt und Gesundheit. Zuletzt ist immer der ominöse „Verbraucher“ an allem Schuld. Und wer widerspricht und sich wehrt, sei ziemlich allein mit dieser Meinung, sogar „vereinzelt„.

Unsere BI ist keineswegs ein Randphänomen, unsere Argumente nicht abgehoben. In Reitwein hat fast die Hälfte des Dorfs gegen die geplante Putenmast unterschrieben. Unsere Vorbehalte werden sogar vom Deutschen Ethikrat geteilt. „Tieren dürfen keine vermeidbaren Schmerzen und Leiden zugefügt werden“, heißt es in einer Pressemitteilung des Sachverständigenrats aus diesem Sommer. Der „Eigenwert“ der Tiere „setzt menschlichen Nutzungsinteressen Grenzen. Diese Grenzen werden jedoch in der derzeitigen Praxis aus Sicht des Ethikrates regelhaft überschritten.“ Das heißt, es geht nicht um einzelne schwarze Schafe, es geht nicht um Ausrutscher. Es geht darum, dass etwas Unvertretbares zur Regel geworden ist. Dass wir uns an etwas als normal gewöhnt haben, was wir nicht normal finden dürften. Der Ethikrat zählt Praktiken der Massentierhaltung auf, die wir abschaffen müssen, darunter die Zucht von Puten und Hühnern mit viel zu viel Brustfleisch oder das Kürzen von Schnäbeln. Aber auch die „räumliche Enge, die mit Gesundheit und artgerechtem (Sozial-)Verhalten nicht vereinbar ist“. 15.000 Puten auf einem Haufen, 72.000 Hühner dicht beieinander – wie kann das artgerecht sein?

Es gibt im deutschen Recht „vordergründig strenge Tierschutzvorgaben. Dennoch werden Nutztieren unter den gängigen Zucht-, Haltungs-, Schlacht- und Verwertungsbedingungen oft routinemäßig Schmerzen und Leid zugefügt.“ Der Agrarindustrie, vielleicht uns allen ist der moralische Kompass abhanden gekommen. Aber das ändert sich: „Die gesellschaftliche Akzeptanz für viele Praktiken in der Nutztierhaltung sinkt.“ Der Ethikrat lobt „die zunehmende Nachfrage von Konsumenten nach pflanzenbasierten Fleischersatzprodukten“. Dass in der Gesamtschau trotzdem noch viel zu viel mit tierischem Leid produzierte Lebensmittel gekauft werden, dazu schreibt der Ethikrat in seiner Stellungnahme: „Der massenhafte Konsum von billigen Milchprodukten, Eiern und vor allem Fleisch legt (…) die Vermutung nahe, dass ein erhebliches Maß an Nichtwissen, Verdrängung oder Gleichgültigkeit hinsichtlich der Aufzucht-, Haltungs- und Schlachtungsbedingungen besteht. Zudem werden Verhaltensänderungen dadurch erschwert, dass es insbesondere bei Fertigprodukten sowie in Restaurants und Kantinen häufig keine Wahlmöglichkeit gibt.“

In einem Punkt ist das Fazit des Ethikrats deutlich: „Ökonomische Überlegungen reichen für sich gesehen nicht aus, um Leid und Schmerzen von Nutztieren als „unvermeidbar“ hinzunehmen.“ Er bezeichnet die „Tierwohlachtung als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ und warnt vor einseitigen Schuldzuweisungen. „Der Appell allein an die Verantwortung von Konsumenten, die (…) oftmals gar nicht die Wahl haben, würde hier zu kurz greifen. Eine ethisch vertretbare Nutztierhaltung ist in erster Linie eine Frage verantwortlicher Regulierung.“

Deshalb ist Unser Reitwein seit Jahren in intensivem Gespräch mit der Politik auf Kreis- und Landesebene. Wir wenden uns an Parlamente, Ministerien und auch die Behörden selbst mit dem Versuch, diejenigen zu überzeugen oder zu drängen, die Entscheidungen für uns alle treffen. Für uns in Reitwein und für alle, die es sonst noch betrifft oder in Zukunft betreffen wird.

Zudem setzen wir unsere Hoffnung in die Justiz. Prof. Steffen Augsberg, Staatsrechtler und Mitglied im Deutschen Ethikrat, beklagt in einem Interview auf die Frage, ob das Tierschutzrecht in Deutschland vor den ökonomischen Bedürfnissen der Fleischindustrie kapituliert: „Ich kenne jedenfalls kein Rechtsgebiet, in dem so heuchlerisch vorgegangen wird wie im Tierschutzrecht.“ Allerdings hat das OVG Berlin-Brandenburg in der letzten Zeit immer wieder gezeigt, dass es die Zeichen der Zeit erkannt hat.

Der Ethikrat zitiert eine repräsentative Befragung, bei der 94 Prozent in Deutschland dem Satz zugestimmt haben: „Wenn wir Tiere nutzen, sollten wir ihnen ein gutes Leben ermöglichen.“ Das sehen wir auch so. Wir sind die vielen.

Der Deutsche Ethikrat ist ein unabhängiger Sachverständigenrat, der „die ethischen, gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen, medizinischen und rechtlichen Fragen sowie die voraussichtlichen Folgen für Individuum und Gesellschaft verfolgt, die sich im Zusammenhang mit der Forschung und den Entwicklungen insbesondere auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und ihrer Anwendung auf den Menschen ergeben“. (Wikipedia)