Unsere Argumente

Gerade auf dem Land sind wir an ein Leben mit Tieren gewöhnt. Massentierhaltung ist aber keine Landwirtschaft mit dem Tier, sondern ein industrielles Verfahren gegen das Tier und seine Natur.

In Reitwein erzählt man sich: „Puten hatte meine Mutter auch, aber die sind so empfindlich. Kommen einmal gegen eine Brennessel und fallen tot um.“ Dass man solche Tiere mit 15.000 Artgenossen auf engstem Raum einsperren will, versteht niemand. Wer sich mehr damit beschäftigt, ist entsetzt. Zum Beispiel über das harmlos klingende Beinschwächesyndrom – so heißt eine verbreitete Perversion der Putenmast: Der Brustmuskel ist so groß gezüchtet, dass die Puten das Gewicht nicht mehr tragen können. „Bei manchen Putenhähnen halten die Beine die Last nicht mehr und die Oberschenkelknochen brechen.“ Anderen reißen die Bänder aus Beinen und Gelenken. Daneben leiden die Puten an Geschwüren und Entzündungen, „typisch ist der plötzliche krampfartige Tod durch Risse in der Hauptschlagader.“ Und das ist nur ein Teil ihres Leids.

Die Zitate und weiterführende Informationen finden Sie bei der Albert-Schweitzer-Stiftung.

 

Jedes Jahr machen Abertausende Kraniche und Wildgänse Rast in und um Reitwein. Die geplante Anlage liegt in einem europäischen Vogelschutzgebiet in unmittelbarer Nachbarschaft zu geschützten Biotopen. Eine Massentierhaltungsanlage gefährdet die Natur, die Böden und das Trinkwasser.

Hinter dem Zaun der ehemaligen Rindermastanlage beginnt das Natura 2000-Vogelschutzgebiet mit Arten, für die Brandenburg eine besondere internationale Verantwortung trägt. Im Umkreis von 130 bis 200 Metern liegen gleich mehrere geschützte Biotope. 15.000 Puten pro Durchgang heißt fast 60.000 Tiere pro Jahr. Da fällt eine Menge Mist an und verdrecktes Reinigungswasser. Das kommt auf unsere Böden, das dringt in unser Grundwasser und bedroht die Biotope in der Nähe. Wo sich Massentieranlagen festgesetzt haben, leidet das Grundwasser, und damit auch das Trinkwasser. In manchen Regionen etwa in Niedersachsen sind Schwangere, junge Eltern, Ältere aufgefordert, das Leitungswasser zu meiden. Brunnen werden stillgelegt. Die EU hat gegen Deutschland hohe Geldstrafen verhängt, weil wir das Problem mit dem verseuchten Trinkwasser seit vielen Jahren nicht in den Griff bekommen. Auch in unserer Region in Ostbrandenburg sind die Nitratwerte schon überschritten worden. Trotzdem haben hier im Umkreis von nur zehn Kilometern neben einer bestehenden Putenmastanlage in den letzten drei Jahren drei weitere Massengeflügelmasten eine Genehmigung erhalten. Unser Bürgermeister befürchtet: „Wir werden zum Gülledreieck des Oderbruchs.“  

Seit Corona wissen wir, wie schwierig der Gesundheitsschutz der Bevölkerung ist. Wir wissen auch, welche Rolle die Massenhaltung von Geflügel bei der Übertragung gefährlicher Erreger auf den Menschen spielt. Und dass kein Fleisch stärker mit Antibiotikarückständen belastet ist als Putenfleisch. Putenmast und multiresistente Keime – das hängt eng zusammen.

Schon vor vierzig Jahren hat der Vater einer Reitweinerin der Familie das Putenfleisch verboten: „Wir dürfen unsere Kinder nicht mit diesen Antibiotika vollstopfen, das ist nicht gesund.“ Der Mann war Bauerssohn und Veterinärmediziner in Niedersachsen.

2019 wollte die Bundesregierung wissen, ob ihre Strategie zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes erfolgreich war. Das Ergebnis: In der Putenmast ist der Antibiotikaeinsatz in den vergangenen Jahren um gerade einmal 4% zurückgegangen. Zudem sind die hier eingesetzten Antibiotika zu 40% Reserveantibiotika, die Menschen nur im Notfall bekommen, wenn sonst nichts mehr geht. Gleichzeitig heißt es in dem Bericht: „Ein Einfluss der Betriebsgröße auf die Höhe der Therapiehäufigkeit war bei allen Nutzungsarten deutlich erkennbar.“ Und weiter wird gewarnt: Der Anteil an Resistenzen gegenüber mindestens einem Wirkstoff „in den Lebensmittelketten Masthuhn und Mastpute ist hoch und entspricht damit den bei diesen Nutzungsarten vergleichsweise hohen Therapiehäufigkeiten.“

In Reitwein und auch in nächster Nachbarschaft zu der geplanten Anlage wohnen Menschen mit chronischen Erkrankungen, alte Menschen, kleine Kinder. Sie sind besonders gefährdet durch die Immissionen, durch Stäube, Bioaerosole und ähnliches. Aber auch Gesunde kann es treffen, wenn die Luft, wenn der Mist auf den Feldern voll ist mit multiresistenten Keimen. Die sind übrigens das Einzige, was in einer Biogasanlage überlebt…

Dorf und Politik sind in Reitwein vereint in ihrer Ablehnung der geplante Massenputenmast. Die Hälfte des Dorfs hat dagegen unterschrieben. Der Gemeinderat hat in zwei Legislaturperioden mit unterschiedlicher Zusammensetzung zwei Mal ein Nein beschlossen. Ohne Gegenstimme. Trotzdem hat das Bauamt das Vorhaben genehmigt. Es ist über den Willen der Bürger hinweggegangen und hat das Recht der Kommune, die eigene Entwicklung selbst zu gestalten, nicht respektiert.

Noch bevor sich Unser Reitwein 2017 gründete, hatten Reitweiner Kinder und engagierte Bürger gemeinsam über 230 Unterschriften gegen den geplanten Megastall gesammelt. Heute sind es 110 Unterschriften mehr – insgesamt über 340! Mit mehr als 240 davon allein aus Reitwein hat die Hälfte des 480-Seelendorfs ihre Ablehnung schriftlich bekundet.

Bei einer Info- und Protestveranstaltung Anfang Juni schöpfte der Protest die Grenzen des unter Corona Erlaubten voll aus. Polizei und Medien zählten: 150 Menschen waren dabei und sagten Nein zur Massenmast.

Verwaltung sticht demokratisch gewählte Volksvertretung

Auch der Gemeinderat hat sich immer wieder gegen die Putenmastpläne ausgesprochen und Stellungnahmen verfasst. Laut Gesetz muss die Gemeinde in einem bauchrechtlichen Verfahren an der Entscheidung beteiligt werden und ihr Einvernehmen erteilen. Dieses Einvernehmen hat die Gemeinde mehrfach mit ausführlichen Begründungen versagt. Diese Entscheidung hat das Bauamt kurzerhand für rechtswidrig erklärt und das Dorfparlament überstimmt.

Dabei hatte das Bauamt seinerseits der Gemeinde im Einvernehmensverfahren nie die vollständigen Antragsunterlagen zur Verfügung gestellt. Auch der Aufforderung, die Eigentumsverhältnisse des Geländes zu prüfen, kam die Behörde nicht nach. Nachdem sie der Antragstellerin drei Jahre Zeit gegeben hatte, Unterlagen zu ergänzen und nachzureichen, räumte sie der ehrenamtlich arbeitenden Gemeinde vier Wochen Zeit ein, um 500 Seiten Verwaltungsdeutsch durchzuarbeiten und zu bewerten. Mehr Seiten als sie Einwohner hat, zwei überquellende Aktenordner voll.

Das war knapp vor dem Lockdown. Die Gemeinde hat es trotzdem geschafft und noch einmal ausführlich ihre Ablehnung begründet. Auf diese Begründung aber geht das Bauamt in seiner Genehmigung nicht mehr ein.

Ausnahmen statt Auflagen

Bei den Menschen im Dorf entsteht so ein Gefühl der Ohnmacht und der Ungerechtigkeit. „Die da oben machen doch, was sie wollen“, heißt es, und über die großen Firmen und Investoren: „Ach, die können sich doch alles erlauben, da sagt doch niemand was. Alles eine Frage zwischen Daumen und Zeigefinger…“ Während „die kleinen Leute“ vom Bauamt Absagen bekommen oder Auflagen, die sie kaum erfüllen können, räumt dasselbe Bauamt einem auswärtigen Investor lauter Ausnahmen ein, um einem Antrag zustimmen zu können, den die Menschen und die Politik vor Ort ablehnen. Solche Erfahrungen schwächen das Vertrauen in unsere demokratischen Institutionen und führen zu Politikverdrossenheit.

 

Der ländliche Raum hat es nicht leicht. Besonders in Ostdeutschland. Viele Regionen bluten aus, es entstehen Geisterdörfer. Reitwein ist ein seltenes Gegenbeispiel. Das Dorf gilt als „Perle des Oderbruchs“ und erlebt in den letzten Jahren Zuzug. Auch von jungen Familien. Eine Massenmastanlage direkt am Ortsrand gefährdet diesen positiven Bevölkerungstrend.

Anders als viele Dörfer, die weit ab von den Ballungszentren in der ländlichen Peripherie liegen, erlebt Reitwein in den letzten Jahren wieder Zuzug junger Familien. „Das ist eine Ausnahme“, sagt Annegret Mierse. Sie ist Maklerin in der Region und begründet die Positivausnahme mit dem besonderen Reiz des baumreichen Haufendorfs, der ruhigen Abgeschiedenheit und schönen Natur. Eine selten hohe Lebensqualität. Der Zuzug aus umliegenden Dörfern, aus Frankfurt und sogar von weiter her sichert das Dorfleben und die gesamte Zukunft Reitweins. Beispielhaft dafür ist die Kita, die kurz vor der Schließung stand und jetzt bald mehr Anmeldungen hat, als sie aufnehmen kann.

Reitwein ist schön, so schön, dass es den Beinamen „die Perle des Oderbruchs“ trägt. Es liegt idyllisch zwischen der Oder mit ihren Auen und dem Ende eines Höhenzuges, den die Eiszeit geformt hat, dem Reitweiner Sporn. Auf dem Sporn steht ein naturnaher Mischwald, wie man ihn selten findet, den Deich schmückt alter Baumbestand. Auch der ist übrigens eine Ausnahme, die vor vielen Jahren erfolgreich von einer Bürgerinitiative erkämpft worden ist. Sie konnte mit viel Engagement der Reitweiner die stattlichen Bäume retten, als sie bei der Sanierung des Deichs nach dem Hochwasser 1997 gefällt werden sollten.

Reitwein ist lebenswert für seine Bewohner und bezaubert alle, die zu Besuch kommen. Tourismus ist für Reitwein schon immer und heute zunehmend wichtig. Er sichert Arbeitsplätze und Einnahmen. Eine stinkende Massenmastanlage wenige Schritte vom Dorfplatz entfernt bringt keinen einzigen neuen Arbeitsplatz. Auch keine Steuereinnahmen, denn der Betriebssitz ist anderswo. Sie gefährdet aber diejenigen, die es schon gibt. Sie gefährdet die Zukunft Reitweins.

Erst 2017/2018 hat die EU in die Attraktivität Reitweins investiert und die dritte Pension in Reitwein gefördert. Mit Steuergeldern und mit Unterstützung desselben Landkreises, dessen Baugenehmigung jetzt droht, diesem jungen Betrieb die Grundlage zu entziehen.

Neben den drei Pensionen gibt es im Ort das zu DDR-Zeiten als kirchlicher und politischer Erholungsraum bekannt gewordene Rüstzeitenheim, ein Ferienhaus und zwei Gaststätten. Die Veranstaltungsgaststätte „Zum Heiratsmarkt“ mit ihrem wunderschönen Biergarten ist etwa 450 Meter von der Anlage entfernt und war 2020 allein für 26 Hochzeiten gebucht. Hinzu kommen zahlreiche Kulturveranstaltungen.

Heiraten hat in Reitwein Tradition. Der „Reitweiner Heiratsmarkt“ ist überregional bekannt. Dieses Fest, bei dem man für 24 Stunden die „Gauklerehe“ eingehen kann, wurde vor über 100 Jahren zum ersten Mal gefeiert und hat in den 1980ern bis zu 20.000 Gäste nach Reitwein gelockt. Dass das Dorf viele Gäste hat, die gerne immer wieder kommen, ist also kein neues Phänomen.

Heute sind es oft Fahrradtouristen, Erholungssuchende und Geschichtsinteressierte, die Reitwein besuchen. Denn der Ort hat Historie. Hier betreibt der Nachkomme des Lehrers Friedrich des Großen eine Pension in der Gräflichen Villa. Der Preußenkönig hat sich seinerzeit in Reitwein von der Schlacht bei Kunersdorf erholt. Später befehligte General Schukow den Kampf um die Seelower Höhen von seinem Bunker auf dem Reitweiner Sporn aus. Und damit die größte Schlacht auf deutschem Boden, mit der der Sturm auf Berlin begann und das Ende des Zweiten Weltkriegs und des Dritten Reichs einläutete.

Das Land braucht Landwirtschaft. Wo sollte sie auch sonst stattfinden? Aber industrielle Massentierhaltung ist keine Landwirtschaft. Und sie ist nicht mehr zeitgemäß. Das Oderbruch war immer der Gemüsegarten Berlins. Jetzt verschläft es die Entwicklung Berlins zur Bio-Hauptstadt Europas.

Immer wieder hören wir dieselbe Phrase: Der ländliche Raum braucht die Landwirtschaft. Das bestreitet in Reitwein niemand, dagegen ist auch niemand. Aber wir fragen: Welche Landwirtschaft wollen wir haben? Welche Landwirtschaft ist gesund für Menschen, Tiere, Umwelt und die Gemeinschaft? Darüber wird in Reitwein und deutschlandweit diskutiert.

Spätestens seit Tönnies, Wiesenhof und Co. wissen wir, die Fleischindustrie operiert ausbeuterisch. Sie beutet natürliche Ressourcen aus, Tiere und auch Menschen. In Deutschland ist der Preisdruck gerade beim Putenfleisch sehr hoch. Gleichzeitig treiben wir mit unserer Landwirtschaft immer weiter in die Überproduktion. Auch in Reitwein will die niedersächsische Fleischindustrie investieren.

Wer sagt: „Das ist Landwirtschaft, das war schon immer so“, vergisst: Es war immer anders. Zu den viel zitierten DDR-Zeiten gab es zwar schon große Tiermastbetriebe, aber die LPGen waren fest im Dorf verankert. Es heißt, halb Reitwein habe bei der LPG gearbeitet. Als Kind hat man dort zu Mittag bekommen, bei Bauprojekten oder Feierlichkeiten haben sie mit ihrer Technik ausgeholfen.

Heute gibt der Nachfolgebetrieb in Reitwein gerade noch einem Menschen Arbeit, vielleicht zwei. Wenn die Leute im Dorf beim Subbotnik gemeinsam die Obstbaumallee beschneiden, hilft niemand vom Landwirtschaftbetrieb. Stattdessen versprüht ihr Angestellter Ackergifte – wenige Meter neben den mithelfenden Kindergartenkindern. Ein Bauer aus dem Dorf würde das nie tun. Eine LPG wie damals auch nicht.

Landwirtschaft gehört zum Land und Gemüse gehört zum Oderbruch   Wer sagt: „Das ist Landwirtschaft, das war schon immer so“, meint eine Zeit, in der unsere Region der Gemüsegarten Berlins war. Über Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte. Vor dieser Zeit floss und überschwemmte die Oder die Gegend und hinterließ fruchtbare Böden. So fruchtbar, dass es keine vielen Stufen der landwirtschaftlichen Veredelung braucht.

Heute dominiert der Anbau von Energiepflanzen. Gleichzeitig ist Berlin die Bio-Hauptstadt Europas. Die Menschen in Berlin wollen Bio und regional. Das Oderbruch könnte genau das liefern. Es könnte wieder der Gemüsegarten Berlins sein, ein moderner Gemüsegarten noch dazu. Stattdessen hält man an einer eindimensionalen Vorstellung von industrieller Massenproduktion und einer nicht mehr zeitgemäßen Idee vom ländlichen Raum fest. Varianten, die anderswo erfolgreich sind, werden pauschal für unwirtschaftlich erklärt. Sachlichen Argumenten mit unsachlichen Unterstellungen begegnet. Industrielle Massentierhaltung wird kurzerhand zur Landwirtschaft erklärt, die zum Land gehöre.

Reitwein und die Landwirtschaft   Niemand in Reitwein bestreitet, dass Landwirtschaft zum Land gehört. Im Gegenteil. Unserer Bürgerinitiative haben sich gerade auch Landwirte angeschlossen. Die Wildblumengärtnerin Nina Keller bekämpft nicht die Landwirtschaft, sie betreibt sie. Mit viel Handarbeit und großem Erfolg. Sie nutzt diejenigen Böden, die weniger fruchtbar sind. In Reitwein freuen sich Jung wie Alt an ihren blühenden Äckern, Alteingesessene wie Zugezogene, Einheimische wie Gäste. Ein Bauernhof wie der Biobetrieb Erz aus dem Nachbarort mit seinen frei herumlaufenden Hühnern wäre hier allen willkommen. Reitwein hat gleich mehrere Imker, einer davon übt diesen Beruf sogar hauptberuflich aus. Unsere verbliebenen Nebenerwerbslandwirte sind immer ansprechbar, helfen in der Gemeinde, bei Festen und in der Nachbarschaft. Das ist ein Miteinander von Landwirtschaft und Dorf.

Wir wissen unsere Reitweiner Landwirtschaft zu schätzen. Sie ist vielfältig und ortsverbunden. Industrielle Landwirtschaft mit Investoren von irgendwo verträgt sich nicht mit unserem Land. Land ist auch der Raum für Natur und für Leben. Erst 2016/17 mussten in unserer Region Hunderttausende Tiere wegen der Vogelgrippe getötet werden. Ist wie meist zuerst ein großer Betrieb betroffen, trifft es in der Folge auch die Nachbarschaft, die kleinen Landwirte und Privaten.

In Reitwein halten viele Familien Tiere. Es hat nicht mehr wie früher jede einen Bullen im Stall und ein Schwein dazu. Aber hie und da hoppeln Hasen, trippeln Schafe und Ziegen. Und es flattert eine Vielzahl an Hühnern, Enten, Gänsen und ja, sogar auch Puten durch die Gärten. Genug, um Reitwein mit üppigen Weihnachtsbraten zu versorgen. Tiere, die sterben müssen, wenn im Massenbetrieb am Ortsrand eine Seuche ausbricht.

Man kennt sich hier von alters her aus mit der Viehhaltung. Und niemand hat sich je über den krähenden Hahn beschwert oder über Pferdeäpfel auf dem Weg oder die Kuhfladen der letzten verbliebenen Rinder. Auch niemand von den übrigens fast ausschließlich selbst auf dem Land aufgewachsenen Zugezogenen. Manchen fehlt sogar die Tierhaltung bäuerlicher Betriebe, die sie aus der eigenen Kindheit in der alten Heimat kennen.

Wir alle wünschen uns, dass Landwirte von ihrer Arbeit leben können, genau wie die Arbeiter in den Schlachtbetrieben und die, die bei der Ernte helfen. Aber das ist kein Argument für immer schlimmere Verhältnisse und ein Ignorieren von Tier- und Arbeitsschutzgesetzen. Was in Reitwein entstehen soll, ist ein Industriebetrieb. Der Betrieb eines Investors aus dem fernen Niedersachsen. Weit weg von Reitwein und unserem Alltag. Losgelöst von dem Land, zu dem er angeblich gehört.

Fragt man in Reitwein, warum die Leute wieder Tiere halten, ist die Antwort klar: „Nach der Wende sind wir alle in die Supermärkte gelaufen. War ja toll. Aber wir haben schnell gemerkt: Da legt man den Broiler in die Pfanne und gießt nach ein paar Minuten die Hälfte als Wasser ab.“ Also besser ein paar Hühner anschaffen und den Jagdschein machen. In der Stadt lebt man dann vielleicht lieber vegetarisch oder vegan. Der Unterschied ist aber nicht so groß, wie manche denken. Und in einem sind sie sich alle einig: „Ich kauf so ein Fleisch nicht!“